Munitionsfabrik Hirschhagen

Die Monitionsfabrik in Hirschhagen befindet sich im Naturraum Kaufunger Wald (mit Söhre) wenige hundert Meter östlich der Grenze zum Landkreis Kassel. Es liegt etwa 1,5 km nordnordöstlich des Hessisch Lichtenauer Stadtteils Fürstenhagen.

Nördlich erhebt sich der bewaldete Rohrberg (535,6 m), auf dessen Südflanke die Ortschaft versteckt auf 430 bis 475,5 m ü. NN liegt. Östlich breiten sich die Hirschhagener Teiche aus.

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Hirschhagen ist ein Stadtteil von Hessisch Lichtenau im Werra-Meißner-Kreis in Hessen. Besonders als Gewerbegebiet dienend ging es aus einer zur Zeit des Nationalsozialismus errichteten Sprengstofffabrik hervor.

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Im Rahmen der Aufrüstung und Kriegsvorbereitung des nationalsozialistischen Deutschen Reiches wurde im Jahr 1936 mit dem Bau der Fabrik Hessisch Lichtenau zur Verwertung chemischer Erzeugnisse begonnen. Planung, Aufbau und Betrieb der Sprengstofffabrik erfolgten nach dem Montan-Schema. Errichtet wurde die Fabrik im Auftrag des OKH durch die Dynamit AG (DAG). Der Betrieb erfolgte anschließend durch die Gesellschaft zur Verwertung chemischer Erzeugnisse mbH ("Verwertchemie") als Tochterfirma der DAG im Auftrag der Montan GmbH, einer Tarnfirma des Heereswaffenamtes. Nach zweijähriger Bauzeit wurde Fabrik im Juni 1938 in Betrieb genommen. Der Deckname des einer strengen Geheimhaltung unterliegenden Komplexes lautete Friedland.

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Die Sprengstofffabrik Hessisch Lichtenau war nach den Sprengstoffwerken in Allendorf die zweitgrößte im damaligen Deutschen Reich. Zwischen 1938 und 1945 wurden rund 135.000 Tonnen TNT und 7.000 Tonnen Pikrinsäure produziert und weiterverarbeitet und Zünder und Sprengkapseln mit angelieferten Nitropenta befüllt. Das Werksgelände umfasst eine Fläche von 233 ha mit insgesamt 399 Gebäuden. Neben den Produktionsgebäuden für die Sprengstoffe gab es Füllstellen für Munition, Lagerstätten, Laboratorien, Werkstätten sowie unter anderem auch zwei eigene Kraftwerke für die Stromversorgung. Zum Transport diente eine 17 km lange Werksbahn mit Anschlussbahnhof zur Bahnstrecke Kassel–Waldkappel.

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Neben deutschen Dienstverpflichteten mussten auch zahlreiche ausländische Zwangsarbeiter sowie KZ-Häftlinge in der Fabrik arbeiten. Die Arbeit in der Sprengstoffproduktion und -verfüllung war recht gefährlich, und es kam im Lauf der Jahre zu zwölf dokumentierten Explosionsunglücken mit zahlreichen Toten. In der Umgebung der Fabrik entstanden zehn Lager zur Unterbringung der Arbeitskräfte und KZ-Häftlinge. Für die leitenden Angestellten wurde die noch heute erhaltene Siedlung Fürstenhagen im Stil der Heimatschutzarchitektur gebaut.

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Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Liegenschaften der Sprengstofffabrik für eine zivile Industrie genutzt. Heute ist das Gebiet als Industriegebiet der Stadt Hessisch Lichtenau ausgewiesen. In den früheren Gebäuden des Werks finden sich Gewerbebetriebe, teilweise aber auch Wohnungen.

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Durch die ohne Rücksicht auf die Umwelt erfolgende Sprengstoffproduktion ist Hirschhagen auch eine Rüstungsaltlast. 1992 begannen umfangreiche Sanierungsarbeiten im Auftrag des Landes Hessen. Nach umfangreichen flächendeckenden Bodenuntersuchungen wurden verschiedene Sanierungsareale ausgewiesen. Hier wurden die Kontaminationen an Nitroaromaten und PAK durch Bodenaustausch entfernt oder zu geringen Teilen auch durch Abdeckung versiegelt. Die kontaminierten Grundwässer werden mittels Wasseraufbereitung über Aktivkohlefilter von den Nitroaromaten gereinigt. Während die Bodensanierung 2008 abgeschlossen werden konnte, müssen die Grundwässer noch weiter aufbereitet werden.

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In der Fabrik Hess.Lichtenau zur Verwertung chemischer Erzeugnisse wurden zwei Arten Sprengstoff hergestellt und verarbeitet, ein dritter wurde nur verarbeitet. Solange keine fertigen Betriebsgruppen existierten, wurden alle Zwischen- und Halbprodukte von anderen Fabriken bezogen bzw. an diese zur weiteren Verarbeitung verschickt.
Die zur Produktkennzeichnung verwendete Abkürzung für das Werk war hlu.

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Schon 1933 kurz nach der Machtübernahme durch die NSDAP begannen die Planungen für neue Rüstungsbetriebe im Deutschen Reich. Im Industriebau renomierte Ingenieurbüros wurden damit beauftragt Vorlagen und Planungen für Rüstungsbetriebe zu entwickeln. Eine Vorgabe war das ein gewisser Standard geschaffen werden sollte der bei allen kommenden Planungen wieder verwendet werden konnte.
Zu den Grosskonzernen die in die Planung miteinbezogen wurden gehörten z.B. die IG Farben, Krupp, Flick, AEG und Siemens - sie alle gehörten zu den grössten Geldgebern der NSDAP und wurden jetzt belohnt mit riesigen Aufträgen im Zuge der Aufrüstung.

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Mit Hilfe der D.A.G. (Dynamit-Aktien-Gesellschaft) suchte das OKH (Oberkommando des Heeres) geeignete Standorte für die grossen Sprengstoff/Munitionswerke. Voraussetzungen waren: Keine unmittelbare Nähe zu einer Grossstadt, dichter Waldbewuchs zur Tarnung, gute Anbindungsmöglichkeiten an Strasse und Bahn, Deckung des enormen Wasserbedarfs, Deckung des hohen Energiebedarfs sowie die Möglichkeit der Region eine hohe Anzahl Arbeitskräfte zu entziehen ohne andere kriegswichtige Industrien zu belasten.

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In der Nähe der nordhessischen Kleinstadt Hessisch Lichtenau wurde ein Standort gefunden der wie es schien alle Vorgaben erfüllte, bis auf die Anbindung an eine Wasserstrasse zur leichteren Be- und Ablieferung mengenintensiver Güter. Die mit dichten Mischwald bestandenen grossflächigen Erhebungen des Kaufunger-Meissner Waldes boten beste Tarnmöglichkeiten, die umliegende Infrastruktur bestehend aus kleinbäuerlichen- und handwerklichen Betrieben erlaubte den Abzug grosser Mengen an Arbeitskräften. Eine leichte Anbindung an das Strassen- und Bahnnetz, grosse Wasserreserven und zwei in direkter Nähe liegende Braunkohlegruben für die Energieversorgung machten das Areal fast perfekt. Einzig das fehlen eines grösseren Fliessgewässers war ein Manko, allerdings erachtete man das im Tal fliessende Gewässer (mittleres Gewässer) Losse für ausreichend um die bei der Produktion anfallenden Abwässer abzutransportieren (was sich später als ein grosser Fehler erweisen sollte).

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Im Jahr 1936 begannen nach genauer Planung unter anderen in den "Schwesterwerken" Allendorf, Hess. Lichtenau und Clausthal die Bauarbeiten. Grosse Baufirmen wie Hochtief, Bitterfeld Leitungsbau, Beton- und Monierbau, AEG etc. richteten sich auf der Groß-Baustelle ein. Es wurden mehrere tausend Männer dienstverpflichtet, teils aus der Region zum anderen Teil überregional (für diese wurden in den umliegenden Ortschaften Barrackenlager geschaffen).
Tag und Nacht wurden Rodungsarbeiten, Strassenbaumassnahmen, Einschalungsarbeiten, Montagearbeiten und Installationsarbeiten ausgeführt.
Die Gebaeude wurden nach dem vorher geplanten Baukastenprinzip erstellt. Die nach dem 0,5m/6m Raster geplanten Gebäude wurden mit einem Beton/Stahlbetonskelett erstellt und die Fächer mit leichten Steinen (Ziegel, Bimsstein) ausgemauert.

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Den Kern der TNT-Produktion bildeten die drei Nitrieranlagen. In den Nitrierhäusern (Abb. P1.1, gesprengt) befanden sich große doppelwandige Rührkessel, jeder war mehrere Meter in den Untergrund eingelassen. Ein Rührlöffel von ca. 1x1 Meter Größe hielt den Sprengstoffbrei in Bewegung und vermischte so die Stoffe miteinander. Prozeßdampf oder Kühlwasser zwischen Innen- und Außenkessel sorgte für die gerade notwendige Temperatur.

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Eine Arbeiterin berichtet:
"Meine Halle 418 war ein großer rechteckiger Raum. Durch einen langen unterirdischen Kanal kamen von der Füllstation auf Schienen die Wagen mit den Bomben zu uns. Immer 6 Stück standen auf einem Wagen. Meine Aufgabe war es, den an der Bombenwand heruntergelaufenen Tri mit einem Spachtel abzukratzen. Dann mußten wir Mädchen die Schrauben für die Flügel der Bomben vordrehen, die Männer zogen sie dann mit Schraubenziehern fest. Dann wurden die Ringe für das Zündloch in Ölpapier eingepackt und oben an die Flügel gehängt. Bereits nach kurzer Zeit bekam ich kastanienfarbiges Haar, die Unterwäsche wurde rot; das kam von dem Tri-Staub."

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Ich habe versucht, neben den Fotos, auch die Geschichte der Munitionsfabrik zu beschreiben.
Die Texte stammen von Jörg Heine und von mir.

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