Berlin - Hauptstadt der Obdachlosen. 20.000 Berliner haben keine feste Bleibe. Für das kommende Jahr 2018 soll es nach Schätzungen der Sozialverbände 500.000 Wohnungslose in Deutschland geben. Eine halbe Million Menschen, die auf der Straße leben.
Jeder dieser Menschen ist eine lebende Frage: Wie geht eine Gesellschaft mit Bedürftigkeit um? Jeder Bettler, jede Bettlerin zwingt die Passanten sich zu entscheiden: helfen oder nicht? Alltagspraktische Überlegungen und vielleicht auch alltägliches Unwohlsein, wenn es in manchen Stadtvierteln zu viele Hilfsbedürftige werden: Wem soll man noch alles helfen? Hier steht der Obdachlose stellvertretend für das Elend der Welt, von dem sich viele aktuell überfordert fühlen.


Auch bei meinen Streifzügen durch Berlin bin ich an vielen Bettlern und Obdachlosen vorbeigekommen. Selten habe ich etwas gegeben. Noch seltener habe ich ein Gespräch angefangen. Das führte im Laufe der Zeit zu einem routinierten Umgang mit Notleidenden – und zu Irritation, wenn er versagt. So kam meine Routine abrupt ins Stocken, als ich einem Obdachlosen Geld in den Becher werfen wollte, aber nicht konnte. Der Mann saß an meiner U-Bahn-Station an der ich täglich mehrfach vorbeikam. Er wirkte, zusammengekrümmt und reglos, mit seiner über das Gesicht gezogenen Kapuze so abweisend und unzugänglich, dass ich förmlich an ihm abprallte. Es hat einige Tage gedauert und die Überwindung entstehender Aggressionen gebraucht bis ich dem Mann Geld geben konnte. Es hat gedauert, aber ich begriff: Dieser Obdachlose schämte sich so sehr zu betteln, dass er eigentlich unsichtbar sein wollte. Danach sah ich diesen Mann regelmäßig am U-Bahn-Eingang stehen. Sein Gesicht ist leicht verwittert und sehr freundlich, er steht mit seinem Becher in der Hand da und er schaut gerade aus. Ich gebe Geld, wir wechseln ein paar Worte. Ihm möchte ich diesen Text widmen.



Gelobtes Land
Wo nach der Ankunft die Herkunft die Zukunft nicht überschattet.
(Melanie Arzenheimer)